Franken


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Schaulust mit Tradition Auftritt des Publikums

Stand: 16.07.2015 | Archiv

Zaungäste auf Autogrammjagd | Bild: picture-alliance/dpa

Auf dem Platz vor dem Königsportal haben sich wieder mehrere hundert Schaulustige versammelt. Sie stehen hinter den rot-weißen Absperrgittern, die sie nicht nur von den prominenten Premierenbesuchern trennen, sondern auch von den Dutzenden Kamerateams, Reportern und Fotografen. Für viele ist es eine Art Sucht, hier (kartenlos) heraufzukommen und sich die Auffahrt jedes Jahr anzusehen.

Hoffen auf eine Karte

Kartenbüro Bayreuth

Die, die mehr wollen als nur einen Blick auf die prominenten Premierengäste zu erhaschen, stehen in der Schlange vor dem Kartenbüro. Manche reisen auch schon Tage vorher an und schlafen auf der Isomatte und im Schlafsack vor dieser Tür. Sie wollen die ersten zu sein, die gefragt werden, falls kurzfristig bereits vergebene Tickets zurückgegeben werden.

Gediegenes Understatement

Die anderen begnügen sich mit der Rolle der Zaungäste. Der leider viel zu früh verstorbene Bayreuther Lokalhistoriker Bernd Mayer hat vor Jahren die Regieanweisung Wagners für den Auftritt des Publikums in dessen "Freistaat für Künstler" gefunden. Wagner schrieb dort: "Mit den Augen dem Haus zugewandt soll man zu meinem Heiligtum hinauffahren." Die Auffahrt, am 25. Juli jeden Jahres, abschätzig "Auftrieb" genannt, folgt dieser Idee bis heute.

Thomas Gottschalk und seine Frau Thea 2007 beim "Auftrieb" in Bayreuth

Gediegenes Understatement prägt das Bayreuther Publikum, seit Thomas Gottschalk nicht mehr kommt und Karl-Theodor zu Guttenberg die politische Bühne verlassen hat. Keine Protzerei, keine Starlets, im Vergleich deutlich weniger Gucci und Prada als anderswo.

"Weltmeister im Schauen"

Dafür fränkischer Charme unter den Zaungästen aus dem heimischen Volk. Beliebt etwa die Kurzkritik, ob die Kanzlerin ihre Robe nicht schon mal anderswo getragen hat. Oder wie routiniert Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe bereits das Amt der kommunalen Händeschüttlerin mit Amtskette auf dem roten Teppich unter dem Königsportal wahrnimmt. Dabei ist es durchaus nicht selten, dass die Eltern oder gar Großeltern der heutigen Zaungäste auch schon mit Kind und Kegel zum Prominenten-Gucken geströmt sind. Die Schaulustigkeit wird in Bayreuth von Generation zu Generation weitervererbt.

Begum Aga Khan, geborene Yvette Labrousse, in festlicher Abendgarderobe – 1963

Der legendäre Nachkriegs-Oberbürgermeister Hans-Walter Wild hatte seinen Mitbürgern sogar einmal bescheinigt, dass sie "Weltmeister im Schauen" seien. Das galt insbesondere für die Zeit ab 1955, als die Königin der (Bayreuther) Herzen, die Begum Aga Khan, alljährlich den Grünen Hügel hinaufgefahren wurde und zum glamourösen Schauobjekt wurde bis 1988. Spätere Besuche von Prinz Charles, Japans Junichiro Koizumi, Michail Gorbatschow oder Vaclav Havel kamen da nicht mehr ganz heran.


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