Für die Reichstagswahl in Berlin stellten Parteien vor den Wahllokalen Vertreter mit Plakaten auf. (6. November1932)
Bildrechte: picture-alliance/brandstaetter images/austrian archives

Vor einem Wahllokal bei den Reichstagswahlen 1932 in Berlin

Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Einstige Nazi-Rednerschule in Herrsching: So nutzte sie Hitler

1929 richtete Fritz Reinhardt am Ammersee eine "Reichsrednerschule" ein, wohl auf Wunsch Hitlers – und mit Erfolg: Etwa 6.000 NSDAP-Funktionäre durchliefen die Ausbildung, sodass die Nazis am Ende weit mehr Wahlkampfredner hatten als andere Parteien.

Über dieses Thema berichtet: Sozusagen am .

Friedrike Hellerer ist Gemeindearchivarin in Herrsching am Ammersee. Sie hat Reinhardts Rednerschule erforscht. Mit Blick auf die erbittert geführten Wahlkämpfe Anfang der 1930er Jahre sagt sie: "Das hat einen großen Unterschied gemacht. Nur die NSDAP konnte ihre Veranstaltungen durchziehen - weil sie eben genügend Redner hatte."

Was war das für ein Institut, diese Rednerschule? Keines, wie man es sich vorstellt, sagt Hellerer. Ein echtes Schulgebäude hatte die Herrschinger Propaganda-Schule nämlich nie. Ihr Gründer Fritz Reinhardt war glühender Nazi-Funktionär und Finanzfachmann und betrieb zunächst eine "Fernhandelsschule" – mit Lehrbriefen, die er aus seiner Privatwohnung per Post an angehende Kaufleute und Steuerberater verschickte.

Propaganda im Fernunterricht

Mit "demselben unermüdlichen Elan", wie Hellerer es in ihrer Doktorarbeit schreibt, verschrieb sich der aus Thüringen stammende Reinhardt dann der Organisation des Rednerwesens – und baute ab 1927 nach dem Prinzip der Fernhandelsschule eine NSDAP-Rednerschule auf: Propaganda im Fernunterricht.

Wenn die angehenden Redner doch mal an den Ammersee kamen, dann zu Blockseminaren und Abschlussveranstaltungen. Die mehr als 100 Absolventen des ersten Kurses etwa erhielten nach neun Monaten Fernunterricht den letzten Nazi-Schliff in einer zweiwöchigen Schulung am Ammersee, ließen sich von NS-Chefpropagandist Gregor Strasser in politischen Tagesfragen unterweisen und von "Stürmer"-Herausgeber Julius Streicher in Judenhass.

"Die Säle mussten bespielt werden"

Reinhardt selbst war von 1928 bis 1930 "Gauleiter Oberbayern", also Bezirksparteichef. Sein Einfallsreichtum und Einsatz verschafften seiner NSDAP in den Jahren um 1930 einen großen Vorsprung, sagt Friedrike Hellerer. "In der damaligen Zeit gab es kaum Möglichkeiten, die eigene Propaganda zu verbreiten. Die hauptsächliche Möglichkeit, an die potenziellen Wähler heranzukommen, waren öffentliche Sprechabende in diesen großen Sälen, die früher an die Gasthäuser angebaut waren. Diese Säle mussten natürlich bespielt werden – und das haben die Parteigenossen relativ schnell erkannt."

Bildrechte: picture-alliance / akg-images | akg-images
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

"Die Masse unseres Volkes wird durch die Macht der Rede gewonnen werden", sagte Hitler schon 1928. Das Bild zeigt ihn bei einer Rede im Mai 1934.

Zumal sich die Nazis seit 1928 vermehrt auf die Dörfer und Kleinstädte konzentrierten – etwas, das ohne die große Anzahl von Sprechern nicht funktioniert hätte. Hellerer schreibt dazu: "Die Wirkung der nationalsozialistischen Vorträge gerade in kleinen, ländlichen Gemeinden war [...] für die Wahlerfolge 1931 und 1932 ausschlaggebend."

Die Herrschinger Wissenschaftlerin hat Anhaltspunkte dafür, dass Hitler selbst die Rednerschule dringend wollte. Schon im März 1925 hatte der spätere Diktator in München die Einrichtung solcher Schulen gefordert, schreibt sie in ihrer Doktorarbeit – eine Forderung, die sich auch in Hitlers berüchtigter Propagandaschrift "Mein Kampf" wiederfindet. "Und diese Schulungen wurden dann aufgebaut", sagt Hellerer – "zufälligerweise in Herrsching".

Fünf Jahre, 6.000 Absolventen

In den Jahren von 1929 bis 1934 bildete die Schule nach Reinhardts eigenen Angaben rund 6.000 Redner aus. Wer den Lehrgang absolviert hatte, konnte sich Reichsredner oder Stoßtruppredner nennen, Gauredner, Kreisredner oder Fachredner. 1934 gab Reinhardt die Schule auf – er war inzwischen zum Staatssekretär im Reichsfinanzministerium aufgestiegen und dort mit zuständig für die Enteignung jüdischen Eigentums.

Um die Kunst der öffentlichen Rede ging es in Herrsching übrigens zuallerletzt. Nach allem, was man heute über die Lehrbriefe und Rednermaterialien weiß, war den Nazis um Reinhardt vor allem eines wichtig: "Es ging darum, dass die gegnerischen politischen Kräfte angegriffen wurden mit der berühmten NSDAP-Propaganda", sagt Hellerer. "Die Redner wurden ausgebildet, auf deren Einwände einzugehen und immer Argumente bereitzuhaben, um sie abschmettern zu können."

Zum fatalen Aufstieg der Nazis trug die Herrschinger Schule damit nicht unwesentlich bei. Durch die Reichsrednerschule und ihre Absolventen wurde die NS-Propaganda vereinheitlicht und gelangte auch in ganz abgelegene Regionen – mit bitterem Erfolg. Unter den Dokumenten, die Hellerer gefunden und studiert hat, ist auch eines aus dem preußischen Innenministerium in Berlin, aus dem Mai 1930. "Und auch darin wird erwähnt, dass diese systematischen Schulungskurse dazu beigetragen haben, dass die Säle durchweg überfüllt waren und die Teilnehmer mit viel Beifall der Partei beigetreten sind."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!