Inflation trifft die Armen in Russland
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Teure Bananen: Gemüsestand in Moskau

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Rekord-Inflation: Bananen-Preise entlarven Putins Propaganda

Offiziell geht es der russischen Wirtschaft trotz Kriegskosten prächtig, doch die Lebensmittelpreise explodieren. Tatsächlich rechnet sich der Kreml die Lage schön und stärkt den Rubel rein kosmetisch - eine Strategie, die jetzt zu scheitern droht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die Fassade droht zu bröckeln: Vor der Präsidentschaftswahl im März ist der Kreml sehr darauf bedacht, die wirtschaftliche Lage des Landes in jeder Hinsicht aufzuhübschen. Mit allerlei Zwangsmaßnahmen und Bilanzkosmetik wurde der Rubel-Absturz gebremst, die Konjunktur läuft angeblich hervorragend. Tatsächlich ist die Inflation jedoch "besorgniserregend", was vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten am meisten zu spüren bekommen, also jene, die bisher zu den treuesten Putin-Fans (und TV-Zuschauern) zählen.

Für das Regime ist das brandgefährlich, droht es doch durch die Preisexplosion ausgerechnet bei den symbolträchtigen Bananen demaskiert zu werden: "Heutzutage muss man keine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung haben, um zu verstehen, dass der Absturz des Rubels künstlich abgebremst wird", so der Wolgograder Agrarexperte Andrej Proschakow: "Bananen sind ein einzigartiges Produkt, das das tatsächliche Verhältnis des Rubel-Wechselkurses zum Dollar zeigt. Ein Kilo Bananen entspricht einem US-Dollar." Daran gemessen, hat der Rubel im vergangenen Jahr rund fünfzig Prozent seines Umtauschwerts verloren: Der Kilopreis von Bananen stieg in Russland von rund 100 Rubel auf fast 150, was zunehmend Schlagzeilen macht und erregte Diskussionen auslöste. Die im Ausland erscheinende "Moscow Times" behauptet, unmittelbarer Anlass für den Preisschub sei eine Anhebung des Bananen-Mindestpreises in Ecuador.

"Schlechte Trends am Vorabend der Wahl"

Exil-Politologe Anatoli Nesmijan schrieb, Bananen seien ein Volksnahrungsmittel, das sich bisher auch "sehr arme Menschen" leisten könnten: "Wie üblich sind es bei allen Experimenten und Misserfolgen der Regierung die Armen, die zuerst zahlen und noch ärmer werden. Nichts besonders Neues." Kollege Sergej Udaltsow pflichtet dem bei: "Ich sehe oft Rentner, die in Geschäften Bananen kaufen, jeweils zwei bis drei Stück. Für sie war es eine relativ preiswerte Delikatesse, die man sich mit einer bescheidenen Rente leisten konnte. Der starke Anstieg der Bananenpreise verschlechtert zunächst einmal die Stimmung von Putins Kernwählerschaft. Schlechte Trends am Vorabend der Präsidentschaftswahl."

Der systemtreue Wirtschaftsprofessor Leonid Cholod versuchte die Wogen zu glätten, indem er das "Konsumfieber" vor den Festtagen für die Inflation verantwortlich machte. Vermutlich würden Bananen Anfang Dezember wieder "fünf Prozent billiger": "Normalerweise müsste sich innerhalb von zwei Wochen alles wieder beruhigen." Es verwundert nicht, dass manche Kreml-Getreuen schnell mit Verschwörungstheorien bei der Hand sind. "Das ist eine Art Horror", so Großgastronom Eduard Panin: "Meiner Meinung lässt sich ein solches Gesamtbild derzeit nur durch eine Absprache der Lieferanten erklären." Offenbar nutze der Einzelhandel die Lage aus, um abzukassieren. Die Kartellbehörde müsse sich damit auseinandersetzen. Ein weiterer Kommentator schimpfte: "Es ist dringend erforderlich, die Saboteure zu identifizieren, die den Weg zur Versorgung mit Mandarinen aus den Gebieten der ehemaligen UdSSR blockierten, wir müssen sie härter bestrafen!"

"Schlag für die Gesundheit der Nation"

Ein viel gelesener Blogger aus Pskow fürchtet ganz ironiefrei bereits die Unterernährung der Russen, zumal auch die Preise für Eier und Hühnerfleisch massiv angestiegen sind: "Eier und Huhn sind die günstigste Proteinquelle für die Bevölkerung. Bananen sind eine Quelle für Kalium, Kalzium und wichtige Vitamine. Dies ist ein direkter Schlag für die Gesundheit der Nation und ihres Genpools. Wenn die Preise für solche Produkte nicht gesenkt werden können, werden wir in Zukunft eine körperlich unterentwickelte Bevölkerung mit geschwächten Herzen, unterentwickelten Muskeln usw. haben. Wohin das führt, lässt sich am Unterschied zwischen Nord- und Südkoreanern erkennen. Vor einem halben Jahrhundert waren sie körperlich noch ein einheitliches Volk. Heute gibt es zwei verschiedene."

"Gelddruckmaschine funktioniert"

Der Unmut über explodierende Preise und leere Regale hat sich längst in die Leserkommentar-Spalten übertragen. Dort wird der "finnischen und schweizerischen Schokolade" melancholisch hinterher getrauert und der Regierung das "Aussaugen der Bevölkerung" vorgeworfen: "Im reichsten Land der Welt verarmt die Bevölkerung." Nichts werde "von alleine teurer", behauptete ein Scherzbold: "Die Preise steigen, weil sie erhöht werden." Die russischen Nudeln seien dank minderwertiger Rohstoffe inzwischen keine Pasta mehr, sondern "Ersatzbrei": "Die Wurst pumpen sie mit Wasser auf, Hühnchenfleisch ist voller Chemikalien und Antibiotika." Sarkastisch schrieb ein Leser: "Je höher unser internationales Renommee, desto höher die Preise." Ein weiterer ulkte: "Letztes Jahr verkniff ich mir den Kaviar, in diesem Jahr die Mandarinen." Es gab auch Leute, die sich "im Sommer mit Pilzen eingedeckt" haben wollten, offenbar für den Rest des Jahres.

Mit Blick auf die Kriegskosten hieß es: "Der Rubel kann nicht umhin, an Wert zu verlieren. Manipulationen am Wechselkurs sind ein vorübergehendes Phänomen. Der Rubel verliert ständig an Wert, weil die Gelddruckmaschine rotiert. Es gibt keine andere Möglichkeit, die immer weiter sinkende Wirtschaft zu stützen. Daher muss man sich an steigende Preise gewöhnen. Die Alternative zum Gelddrucken besteht darin, Zahlungen und die Produktion einzustellen, und das wäre mit Hungersnot verbunden, was noch schlimmer ist."

Im kommenden Jahr werden die russischen Staatsausgaben für den Krieg um 70 Prozent steigen, wie dem gerade verabschiedeten Haushaltsplan zu entnehmen war. Für Rüstung sind umgerechnet rund 140 Milliarden Euro eingeplant, für "Sicherheit" weitere 34 Milliarden. Erstmals wird der Verteidigungsetat unter allen Einzelposten der größte sein und knapp vierzig Prozent des Gesamthaushalts verschlingen. Im Sozialetat werden demgegenüber 30 Milliarden Euro gekürzt, etwa beim Wohnungsbau.

"Fehlen normaler Lieferwege"

Die Inflation ist so drastisch, dass Putins Wirtschaftsfachmann Maxim Oreschkin in einem Interview nicht umhin kam, darauf einzugehen. Er versuchte, den Ärger mit einem Psychotrick weg zu argumentieren: "Eier sind teurer geworden. Das merkt und sieht jeder, wenn er in den Laden kommt. Es gibt ein Merkmal der menschlichen Psychologie: Zunächst einmal achtet man auf die Preise, die stark steigen. Aber jene Preise, die mehr oder weniger stabil geblieben sind, zum Beispiel für Sonnenblumenöl, das einigen Schätzungen zufolge sogar billiger ist als vor einem Jahr – bleiben außer Acht. Dadurch entsteht der Eindruck einer extrem hohen Preissteigerung." Die Inflation sei momentan aber "wirklich hoch", so Oreschkin. Putin habe der Zentralbank bereits die Aufgabe gestellt, eine "Lösung für das Problem zu finden".

Angeblich produziert Russland inzwischen 80 Prozent seiner Waren und Dienstleistungen selbst, behauptete Oreschkin, bei den Lebensmitteln liege der Anteil sogar darüber. Die "völlig überhöhten" Preise erklärt sich der Kreml-Propagandist mit dem "Fehlen normaler Lieferwege für frisches Gemüse und Obst". Derart hilflose Ausreden tragen natürlich nicht gerade zur Glaubwürdigkeit von Putins Gefolgsleuten bei, zumal Oreschkin achselzuckend anfügte, es sei "unwahrscheinlich", dass die dominierenden Wirtschaftsmächte Europa und USA noch stärker würden: "Indien wächst schneller." Immerhin räumte der Wirtschaftsexperte ein, dass Russland technisch "in einigen Bereichen immer noch" vom Westen abhängt, diesbezüglich sei erst die Hälfte des Weges zur Unabhängigkeit zurückgelegt. Gefragt, ob den Russen nach der Wahl ein Schock drohe, antwortete Orschekin, es gehe nicht um "bittere Pillen": "Die Frage ist: Wie schnell können wir uns positive Veränderungen leisten?"

Finanzexperten erwarten abermaligen Rubel-Absturz

Die Chefökonomin der Alfa-Bank, Natalja Orlowa, machte aus ihrer Meinung kein Hehl, dass der optisch "starke" Rubel demnächst schon wieder in den Keller gehen werde, trotz aller Bemühungen Putins. Sobald die aktuellen Zwangsmaßnahmen aufgehoben würden, vermutlich nach der Wahl, werde ein US-Dollar nicht mehr 88 Rubel kosten, wie derzeit, sondern bis zu 110 Rubel. Russland brauche keine "oberflächlichen" Versuche zur Währungsstabilisierung, sondern eine "systematische Politik zur Konjunkturbelebung".

Blogger Konstantin Kalaschew machte sich über die Kreml-Prognose lustig, der Rubel werde bis zum Jahresende noch stärker werden: "Nach dieser verbalen Intervention mit einer guten Nachricht sollten sich Schlangen vor den Wechselstuben bilden, weil die Leute den rapide an Wert verlierenden Dollar loswerden wollen. Aber genau das passiert nicht!" Wladimir Bessonow von der Moskauer Wirtschaftsuni bezeichnete eine Inflationsrate von 7,5 Prozent, wie vom Kreml prognostiziert, im laufenden Jahr als "zu optimistisch", sie werde wohl eher bei acht Prozent liegen. Es gebe speziell seit dem Sommer eine "neue inflationäre Realität". Seitdem galoppierten die Preise zwischen 10 und 12 Prozent, was ganz und gar nicht zum rosaroten Propagandagemälde von Putin passen will.

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