Eine Frau sitzt im Dünensand.
Bildrechte: Roosje Glaser Foundation

Roosje Glaser im Dünensand, 1942.

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Ausstellung in der Pasinger Fabrik: "Tanzen mit dem Feind"

"Tanzen mit dem Feind" – so heißt eine neue Ausstellung in der Pasinger Fabrik. Im Mittelpunkt steht die Tänzerin Roosje Glaser, die den Holocaust überlebt hat. Ihr Neffe Paul Glaser hat ihr Leben anhand von Tagebüchern und Fotoalben aufgearbeitet.

Über dieses Thema berichtet: Kulturleben am .

Paul Glaser hatte nie vor, nach Auschwitz zu fahren. Aber seine Reisegruppe möchte die Gedenkstätte besichtigen und so kommt er nicht drumherum. Er weiß noch nicht, dass ihn dieser Besuch nie wieder loslassen wird. In der Gedenkstätte entdeckt der Niederländer einen Stapel von Gepäckstücken ehemaliger KZ-Häftlinge. "Und auf jedem Koffer stand der Familienname und das Land der Herkunft. Und da stand Glaser, Niederlande." Der Name sei in den Niederlanden sehr selten. "Das war wirklich ein Schock für mich. Das war ein fast greifbares Zeugnis der Vergangenheit meiner Familie."

Glaser weiß zwar, dass er jüdische Vorfahren hat, die in Auschwitz waren. Sein Vater aber hat darüber nie gesprochen und seinem Sohn geraten, ebenfalls zu schweigen. Das schafft Glaser nicht mehr, jetzt, wo er den Koffer sieht.

Die Geschichte von Roosje Glaser

Er gräbt sich hinein in die Vergangenheit. Findet heraus, dass dieser Koffer einst seiner Tante Roosje Glaser gehört haben muss. Er stößt auf unzählige Briefe, Tagebücher, Fotos und Filme, die sie hinterlassen hat, als sie im Jahr 2000 in Stockholm starb. "Sie war die fröhlichste Tante, die wir hatten. Sie war ganz anders wie mein Vater, sie war extrovertiert, kommunikativ, lebenslustig. Sie hat nie einen Davidstern getragen. Man durfte nicht mit dem Zug fahren, man durfte das nicht, jenes nicht – sie hat alles gemacht. Sie fand das Leben zu kurz, um sich so sehr einzuschränken."

Paul Glaser schreibt ihre Geschichte auf. Sein Buch ist die Basis für die Ausstellung, die nun in der Pasinger Fabrik (Externer Link) zu sehen ist. Hier steht ein alter Plattenspieler. Dort ein klappriges Klavier. Musik und Tanz, das waren Roosjes Leidenschaften. In den Niederlanden leitete sie bis 1942 eine eigene, sehr erfolgreiche Tanzschule. "Und es ist ihr sogar gelungen, in Auschwitz Tanzstunden zu geben an die SS-Leute. Sie hat gehört, die langweilen sich auch, sind weit weg von zu Hause, und jeden Abend kommen sie zusammen, trinken, und sie hat dann vorgeschlagen: Ich bin Tanzlehrerin und werde Tanzstunden geben oder Lieder singen."

Tanzen als Ventil

Der Kurator Stefan Mittendorf hat der Ausstellung den Titel "Tanzen mit dem Feind" verliehen: Denn Tanzen sei für sie das Ventil gewesen, "diese Hölle der vielen Konzentrationslager zu überleben". Deswegen habe man sich entschieden, "eine temporäre Tanzschule" einzurichten, die verschiedene Tanzkurse anbietet.

Eine weitere Leidenschaft der jungen Frau: ihre Kamera, die ausgestellt ist. Roosje fotografierte und filmte sich beim Tanzen, beim Ausgehen im Café, am Strand mit Freunden, bevor die SS sie verhaftete. Sie erfuhr alle Extreme der Liebe, des Lebens und Sterbens. Sie überstand den Todesmarsch durch Schnee und Eiseskälte. 1945 wurde sie vom schwedischen Roten Kreuz befreit. In Schweden habe sie dann ein Frauenkabarett gegründet, sagt Kurator Mittendorf.

Werte bewusst machen

Paul Glaser wünscht sich, dass seine Tante die Besucher inspiriert und ihnen Werte bewusst macht, die nicht selbstverständlich gegeben sind. Roosje habe zeigt, was es bedeutet, wenn man einen starken Charakter entwickelt, sich selbst treu bleibt und kommuniziert - mit Freund und Feind. Das andere sei: "Manchmal ist es gut, einen Moment zu realisieren, wie es ist, ohne Rechtsstaat, ohne Demokratie, ohne europäische Zusammenarbeit. Und ich hoffe, dass diese Ausstellung das als Botschaft bringt."

Im Video: Ausstellung "Tanzen mit dem Feind" in der Pasinger Fabrik

Roosje Glaser
Bildrechte: BR
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Roosje Glaser

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