Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP und Bundesminister der Finanzen, spricht zu Beginn des 75. Ordentlichen Bundesparteitages der FDP in Berlin.
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Die FDP hat auf ihrem Bundesparteitag eine Wirtschaftswende für Deutschland gefordert.

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FDP-Parteitag: Die Liberalen versuchen weiter den Spagat

"Raus aus der Ampel" - das fordern zwar einige Delegierte beim FDP-Parteitag. Doch die Mehrheit folgt der Parteiführung, die um Zusammenhalt wirbt und sich mit der Forderung nach einer "Wirtschaftswende" in der Ampel profilieren will. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Gemessen an den Umfragewerten müsste sich die FDP große Sorgen machen. Sie kommt meist nur auf vier bis fünf Prozent, müsste also um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Dafür ist die Stimmung auf dem Bundesparteitag in Berlin überraschend gut. Und das hängt mit einem Wort zusammen: "Wirtschaftswende".

12-Punkte-Plan für "FDP pur"

Parteichef Christian Lindner ist es mit der entsprechenden Forderung gelungen, die eigene Partei neu zu motivieren. Schon mit der Veröffentlichung ihres 12-Punkte-Plans zur Wirtschafts- und Sozialpolitik wenige Tage vor ihrem Parteitag schaffte es die FDP in die Schlagzeilen. Dass die SPD umgehend massive Kritik daran übte - die Sozialdemokraten lehnen Forderungen wie die Abschaffung der "Rente mit 63" oder Eingriffe beim Bürgergeld vehement ab -, kam der FDP sogar gelegen: Sie kann damit den Anhängern, die mit der Ampel fremdeln, neu zeigen, wofür die Partei steht. "FDP pur" sozusagen.

So kommt man beim Versuch mitzuzählen, wie oft Lindner in seiner gut 75-minütigen, frei gehaltenen Rede das Wort "Wirtschaftswende" verwendet, sehr schnell an seine Grenzen. Die Wirtschaftswende sei wichtig, um das Wachstum zu erzeugen, mit dem Sicherheit und Verteidigung finanziert werden - schließlich sei das eine Daueraufgabe, was den Einsatz von Schulden ausschließe. Ohne starke Wirtschaft wiederum kein Geld für Sozialleistungen und Klimaschutz. Und außerdem solle die erhoffte Wirtschaftswende einen Beitrag dafür leisten, die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Scharfe Kritik an Union

Von einem Schutz vor dem Abdriften von Teilen der Gesellschaft an die politischen Ränder spricht der FDP-Vorsitzende und sagt: "Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man sich denken kann." Ein Seitenhieb vor allem gegenüber den Grünen, denen das entsprechende Gesetz besonders am Herzen liegt.

Doch Lindner teilt auch gegenüber der Union aus. Er hält CDU und CSU vor, in der Regierungszeit der großen Koalition für den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands verantwortlich gewesen zu sein. Vor allem aber kritisiert er - im Vorfeld der anstehenden Europawahlen - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU): "Der Bürokratiestress in unserem Land hat einen Vornamen: Ursula."

Lindner lehnt Austritt aus der Koalition ab

Damit wird deutlich: Von Aufforderungen aus der Union, die FDP solle doch die Ampel-Koalition verlassen und Neuwahlen ermöglichen, hält Lindner nichts. CSU-Chef Markus Söder hatte ja den 12-Punkte-Plan der FDP als "Scheidungsurkunde" für die Ampel interpretiert.

Aber auch wenn Lindner das eigene Profil betont - und zwar durchaus in Abgrenzung zu SPD und Grünen - an verschiedenen Stellen seiner Rede wird deutlich, dass er einen Bruch mit der Ampel nicht will. Er erwartet vielmehr, dass die Ampel-Partner auf die Vorschläge der FDP eingehen und angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation bereit sind zu Reformen.

Rufe nach hartem Kurs bei Wirtschaftspolitik

Was aber, wenn es nicht dazu kommt? Schließlich vertritt die SPD auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik häufig diametral andere Positionen als die FDP. Diese Frage spricht Parteivize Wolfgang Kubicki an. Er könne nur dringend an die Koalitionspartner appellieren: "Nehmen Sie die Gespräche mit uns auf. Denn wenn nicht gesprochen wird, wird es auch keine Zukunft dieser Koalition geben."

Der frühere bayerische Landesvorsitzende Albert Duin warnt dagegen die eigene Partei vor einem Glaubwürdigkeitsverlust, wenn sie bei den Forderungen zur Wirtschaftswende nicht hart bleibe. Noch deutlicher wird der Würzburger Delegierte Florian Kuhl: Wenn die FDP in der Ampel nicht alle zwölf Punkte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik durchsetzen könne, müsse sie "raus aus der Ampel".

Fortsetzung des Ampel-Streits scheint gewiss

Freilich: Der Applaus bei dieser Wortmeldung ist verhalten, zu sehr hat Parteichef Lindner die Delegierten zuvor bereits auf Geschlossenheit eingeschworen. Er zeigt Verständnis für diejenigen, die sich mehr FDP pur wünschten, verweist aber zugleich auf die Notwendigkeit, in einer Koalition zu Kompromissen zu kommen.

Nach einem Aus für die Ampel klingt das nicht. Aber eben nach einer Fortsetzung des Spagats, den Lindner versucht: die Arbeit am Erfolg einer Koalition, die viele in der Partei so schnell wie möglich überwinden wollen. Da aber auch die Koalitionspartner, insbesondere die Sozialdemokraten, wegen ihrer Umfragezahlen unter Druck stehen, heißt das: Es dürfte in der Berliner Koalition spannend und konfliktreich bleiben. Und mit dem Haushalt für das kommende Jahr steht schon bald die nächste Herausforderung für die Ampel an.

Zum Artikel: Ampel in Berlin: Alles nur Streit?

Im Video: Gespräch mit BR-Korrespondent Hans-Joachim Vieweger

BR-Korrespondent Hans-Joachim Vieweger
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In Berlin hat die FDP heute ihren Bundesparteitag abgehalten.

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