Bewaffneter Kämpfer, aus einem IS-Video
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Wie finanziert sich der IS? Ermittler untersuchen internationale Netzwerke

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Razzia: Wie finanzieren sich Islamisten?

Razzia am Mittwoch, auch in Bayern - sie kam mit Ansage: Schon länger sind Ermittler an Islamisten dran, die für Gleichgesinnte in Syrien Geld spenden. Empfänger sind Terroristen - Kämpfer des IS und anderer Terrorgruppen. Einblick in die Netzwerke.

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Der Ärger in der militanten Unterstützer-Szene ist groß. "Mindestens vier Schwestern und einige Brüder wurden am Mittwoch verhaftet. Bitte macht dua (Anmerkung der Red.: Bittgebete) für die Geschwister, die haben keinem weh getan", heißt es im verfassungsschutzbekannten Telegram-Kanal "free our sisters". Die Betreiberinnen setzen sich schon seit Jahren für inhaftierte Terroristen ein - für solche die in deutschen Gefängnissen, aber auch in kurdischen Gefangenenlagern einsitzen.

Ohnehin ist der Messengerdienst Telegram seit Jahren unverzichtbar, um Spendenaktionen zu organisieren - Aktionen für islamistische Terrorgruppen, dem sogenannten Islamischen Staat (IS), aber auch für al-Qaida-nahe Gruppen in Nordwestsyrien. Gesammelt wird etwa für Kleidung, Waffen oder Essen.

Internationales Netzwerk der Terrorfinanzierer

Am Mittwoch nun hat die Bundesanwaltschaft sieben mutmaßliche IS-Unterstützer festnehmen lassen - in Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie in den Niederlanden. Und es gab zahlreiche Razzien, auch in Bayern.

Wie die Bundesanwaltschaft mitteilte, wurde inzwischen gegen sechs Verdächtige Haftbefehl erlassen. Eine Beschuldigte befindet sich auf freiem Fuß, nachdem der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen unter Auflagen außer Vollzug gesetzt hatte.

Die Verdächtigen sollen einem internationalen Netzwerk angehören, das den IS in Syrien durch Geldspenden unterstützte. Zwei gesondert verfolgte IS-Anhängerinnen sollen seit 2020 auf Telegram für Geldzahlungen an die Miliz geworben haben. Laut Bundesanwaltschaft sammelten Finanzmittler das Geld und stellten Konten oder digitale Spendenkassen zur Verfügung. Über diese soll das Geld an den IS übermittelt worden sein.

Es sei dazu benutzt worden, die Versorgungslage von in Nordsyrien inhaftierten Angehörigen der Vereinigung zu verbessern. Teilweise sei ihnen damit auch die Flucht oder Schleusung aus den Lagern ermöglicht worden, so die Bundesanwaltschaft. Mindestens 65.000 Euro seien so an den IS überwiesen worden.

Nach Angaben des Sprechers der Generalstaatsanwaltschaft München, Klaus Ruhland, sind in Bayern 13 Frauen und Männer verdächtigt: sechs in Mittelfranken, vier in Oberbayern, davon zwei in München, und eine Person in Unterfranken. Dazu kommen zwei Verdächtige aus Bayern, die sich aber inzwischen in Essen und in Luxemburg aufhalten. Es sei aber nicht zu Festnahmen gekommen, hieß es.

Ermittlungen schon längst bekannt

Landesämter für Verfassungsschutz, die Polizei und die Staatsanwaltschaften, etwa in Bayern die bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelte Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, haben das Netzwerk der mutmaßlichen Terrorunterstützer schon länger im Blick.

2020 teilte der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dem BR auf Anfrage mit, dass Geld aus Deutschland via Überweisung, PayPal und neuerdings auch über die Kryptowährung Bitcoin nach Syrien gelange. Und die Bundesanwaltschaft sagte: "Wir gehen in mehreren Fällen der Frage nach, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland oder einer Terrorismusfinanzierung vorhanden sind." Es war also länger klar, dass die Sicherheitsbehörden gegen ein größeres Netzwerk ermittelten.

Schon 2020 gab es den Telegram-Kanal "Deine Schwestern im Camp", der nun auch ausdrücklich im Zusammenhang mit der Durchsuchungsaktion am Mittwoch genannt wird. Die Entstehung des Kanals hat viel zu tun mit dem militärischen Zusammenfall des IS in Syrien ab dem Jahr 2017.

Einst hatten sich tausende Frauen und Männer aus Europa dem IS angeschlossen. Nach der militärischen Niederlage befanden sie sich auf der Flucht und wurden von kurdischen Milizen verhaftet. Darunter waren auch Frauen mit deutschem Pass und ihren Kindern.

Teilweise von den Camps aus riefen deutsche Frauen via Telegram dazu auf, ihnen Geld zu schicken. Die Unterstützer in Deutschland reagierten. Davon zeugen Fotos mit Geldbündeln und Dankesschreiben, die etwa im Kanal "Deine Schwestern im Camp" gepostet wurden.

IS-Frauen im Camp unterstützt: Frau aus Oberbayern schon verurteilt

Vereinzelt gab es wegen derartiger Spendenaktionen schon Urteile. So verhängte etwa das Oberlandesgericht Stuttgart im Februar 2023 wegen IS-Unterstützung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten gegen eine 31-Jährige aus Geretsried bei München. Der irakische Ehemann der Frau wurde wegen Mitgliedschaft im IS zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Beide hatten laut Gericht über Verbindungspersonen Spendenaktionen organisiert bzw. unterstützt, die auch IS-Frauen in kurdischer Gefangenschaft zugute kamen oder zugute kommen sollten.

Eine Methode der Verurteilten war das sogenannte Hawala-Banking - ein altertümliches Geldüberweisungssystem, mit dem Bargeld schnell und weitestgehend anonym außerhalb des staatlich genehmigten Bankensystems gegen eine Provision transferiert wird. Dieses inoffizielle System wird für an sich legale, aber auch für illegale Transfers genutzt.

Von dem Geld soll auch eine Frau profitiert haben, der die Flucht aus dem Gefangenenlager geglückt war und die sich jetzt in Idlib in Nordwestsyrien aufhalten soll. Ausgerechnet jenes Gebiet, wo sich nach wie vor Kämpfer al-Qaida-naher Gruppen tummeln - darunter auch Deutsche, die ebenfalls via Telegram Spendenaktionen organisieren. Auch in solchen Fällen wurden zuletzt immer wieder Freiheitsstrafen gegen Terrorunterstützer verhängt.

Angst vor Durchsuchungsaktionen

Längst ist in der militanten Islamisten-Szene bekannt, dass wegen Geldtransfers ermittelt wird. Szeneangehörige warnen deshalb immer wieder auf Telegram. "Eine Person sammelt Gelder ein und bietet dann ein Bankkonto oder andere unsichere Zahlungswege an. Die Behörden sind im Internet sehr aktiv und haben zusätzlich ihre Laufhunde,", heißt es etwa in einem Anfang Mai verfassten Eintrag in einem IS-Telegram-Kanal.

Es bestehe die Gefahr, dass einer Person Terrorfinanzierung unterstellt werde, "bloß" weil man "einigen armen Schwestern helfen" wollte. Es sei deshalb anzuraten, von "anonymen Methoden der Geldübermittlung" Gebrauch zu machen.

Allerdings sehen die Unterstützer in ihrem Handeln keine Straftat. Vielmehr habe man für Kinder und Schwestern gesammelt, die im Dreck lebten, heißt es in den Telegram-Kanälen. In der Tat kämpften in kurdischen Lagern inhaftierte Frauen und Kinder jahrelang mit schwierigen hygienischen Bedingungen.

"Hygienisch sind die Zustände katastrophal. Man hat so Baustellen-Toiletten. Es gibt keine Kanalisation. Die Fäkalien sind überall", schilderte eine nach Deutschland zurückgekehrte ehemalige IS-Angehörige im BR-Interview, die inzwischen als Aussteigerin gilt.

Verfassungsschützer: IS-Akademie Gefangenenlager

Die Frauen saßen teilweise mehrere Jahre mit ihren Kindern in den Lagern fest. Die Bundesregierung reagierte nur zögerlich. Nur vereinzelt wurden Frauen und Kinder zurückgeholt. Wenn Medien anfragten, verwies das Auswärtige Amt darauf, dass es keine konsularische Betreuung in Nordsyrien gebe.

Verfassungsschutz und Polizei waren die schwierigen Bedingungen in den Lagern längst bekannt. So auch bei Benno Köpfer, Leiter der Abteilung islamistischer Extremismus und Terrorismus des baden-württembergischen Verfassungsschutzes. Ende 2021 verglich er im BR-Interview die Lager mit IS-Akademien: "Bei diesen ganz großen Lagern haben wir Berichte gehabt, die dann Scharia-Bestrafungen durchsetzen gegen diejenigen, die dann ein bisschen lau werden oder von den Ideen abweichen. Reue und Umkehr wird man in diesem Zwang sicher schwerer praktizieren können als in einem geregelten Justizvollzug in Europa."

So konnte die IS-Ideologie in den Lagern weiter überleben und sich ausbreiten – auch Kinder wurden indoktriniert. Davon zeugen Videos, die etwa im Kanal "Deine Schwestern im Camp" verbreitet wurde.

Schließlich mehrten sich die Forderungen auf politischer und sicherheitsbehördlicher Ebene, den Großteil der Frauen und Kinder zurückzuholen. 2021 und 2022 gab es mehrere Rückholaktionen.

Faeser: Sind sehr wachsam

Nun nach der Razzia inszenieren sich die deutschen IS-Unterstützer auf Telegram als Opfer. Man habe doch nur unschuldige Kinder mit Lebensmitteln versorgt.

Anders sehen das die deutschen Sicherheitsbehörden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lobte den Ermittlungserfolg und sprach von einem konsequenten Weg, die Geldquellen des IS auszutrocknen. Und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: "Wir sind sehr wachsam und setzen unsere harte Gangart gegen Islamisten fort."

Mit Informationen von dpa

Razzia gegen mutmaßliche IS-Unterstützer auch in Bayern
Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
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Symbolbild: Razzia

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