Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) sind im Einsatz, um ein Wohnhaus am Osternburger Kanal vor dem drohenden Hochwasser mit Sandsäcken zu sichern.
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In den Hochwassergebieten herrscht große Sorge vor weiter steigenden Pegelständen.

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Kein Ende des Hochwassers in Sicht – Millionen Sandsäcke nötig

In den Hochwassergebieten herrscht große Sorge vor weiter steigenden Pegeln. Nach wie vor sind Niedersachsen, Bremen, Teile Nordrhein-Westfalens, Sachsen-Anhalts und Thüringens betroffen. Die SPD bringt ein Aussetzen der Schuldenbremse ins Spiel.

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Nach wie vor sind Niedersachsen, Bremen, Teile Nordrhein-Westfalens, der Süden Sachsen-Anhalts und der Norden Thüringens besonders betroffen vom Hochwasser. Die Einsatzkräfte sind pausenlos unterwegs. In Bremen und dem besonders betroffenen Niedersachsen zeigten am Dienstagabend noch viele Pegel die höchste der drei Hochwassermeldestufen an. Die Gefahr von größeren Überschwemmungen besteht weiterhin.

Deutscher Wetterdienst warnt noch bis Donnerstag

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist bis zum Donnerstag mit gebietsweise hohen Regenmengen von Niedersachsen bis zum Schwarzwald sowie in den östlichen und südöstlichen Mittelgebirgen zu rechnen. Innerhalb von 30 bis 60 Stunden erwarten die Meteorologen 30 bis 50 Liter pro Quadratmeter, im Bergland bis zu 100 Liter. Für die ostfriesischen Küsten und exponierte Gipfel sagten die Experten orkanartigen Böen mit bis zu 120 Stundenkilometern voraus, an der Ostsee seien auch Sturmböen möglich.

In Teilen Baden-Württembergs konnten dagegen Warnungen des DWD vor ergiebigem Dauerregen aufgehoben werden.

Schulpflicht in Sachsen-Anhalt und Thüringen ausgesetzt

Im Hochwassergebiet an der Landesgrenze von Sachsen-Anhalt und Thüringen ist die Schulpflicht in einigen Orten ausgesetzt worden, Notbetreuungen wurden eingerichtet.

In Altenglan in Rheinland-Pfalz wurde am Dienstagabend sicherheitshalber die Evakuierung eines ganzen Straßenzugs angekündigt – die Anwohner konnten allerdings dann doch in ihren Häusern bleiben, wie ein Feuerwehrsprecher der Deutschen Presse-Agentur sagte. Auch in der Nacht blieb die Lage vorerst stabil.

Eigene Sandsack-Reserven in Niedersachsen offenbar knapp

Für die Hochwasserbekämpfung greift Niedersachsen inzwischen auch auf die Reserven von Sandsäcken aus Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommer, Schleswig-Holstein und Hessen zurück. Bis auf einen kleinen Rest sei die eigene Reserve von rund 1,9 Millionen eingelagerten Sandsäcken seit Beginn der Hochwasserlage vor Weihnachten mittlerweile abgerufen worden, teilte der zuständige Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mit. Das Land hat inzwischen aber rund 1,5 Millionen weitere Sandsäcke aus anderen Bundesländern erhalten, womit etwa die Deiche verstärkt werden könnten.

Niedersächsische Innenministerin widerspricht Sandsack-Knappheit

Die niedersächsische Innenministerin, Daniela Behrens (SDP), hat dagegen den Meldungen widersprochen, wonach die Sandsäcke zur Neige gehen würden. Im Interview mit der Bayern 2 Radiowelt sagte Behrens: "Das kann ich nicht bestätigen. Wir haben kein Materialproblem." Die SPD-Politikerin betonte: "Wir haben Sandsäcke da. Wir füllen jeden Tag Tausende von Sandsäcken." Behrens fügte an: "Was die Ausstattung mit Technik angeht, was das Engagement der Menschen angeht, da haben wir keine Not".

Hilfe für Deichschutz auch aus Bayern

Auch aus Bayern kommt Hilfe für die Deiche Niedersachsens: Mit einem mobilen Deichschutz unterstützen die Berufsfeuerwehr Augsburg, sowie die Feuerwehren in Kempten, München und Rosenheim die Hochwassergebiete. Auf Marschbefehl des bayerischen Innenministeriums vom vergangenen Donnerstag brachten zehn Feuerwehrleute aus Augsburg und zehn weitere der anderen drei Wehren bereits vergangene Woche die eigenen mobilen Deichschutzwände nach Meppen im Landkreis Emsland.

Der Innenministerin von Niedersachsen bereitet weiterhin das Wetter die größten Sorgen: "Wir haben besonders eine angespannte Lage im Nordwesten, also zwischen Weser und Ems. Dort steigen die Pegel leider wieder. Die Deiche sind jetzt seit vielen Tagen im Wasser und sehr durchnässt. Die Wiesen sind weit überschwemmt. Wir haben einige Städte, die natürlich auch von Hochwasser bedroht sind. Wir haben noch ein paar harte Tage vor uns, um gegen dieses Hochwasser zu kämpfen. Aber bisher gelingt uns das sehr, sehr gut."

Mit Blick auf Forderungen aus den eigenen SPD-Reihen, angesichts der Hochwasserlage die Schuldenbremse erneut auszusetzen, sagte Behrens: "Wie der Bund seine finanziellen Möglichkeiten steuert, das muss man in Berlin entscheiden. Wir in Niedersachsen werden das auch in Hannover mitentscheiden." Derzeit aber, so Behrens, konzentriere man sich auf die Bekämpfung des Hochwassers.

Wegen Hochwasser: SPD-Politiker fordern Aussetzen der Schuldenbremse

Angesichts der akuten Hochwasserlage hatten SPD-Haushaltspolitiker ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse ins Gespräch gebracht. "Das Hochwasser richtet gerade in Niedersachsen immense Schäden an", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz dem Magazin "Spiegel". "Für diese Kosten könnten wir die Schuldenbremse aussetzen." Dies sei auch nach dem jüngsten Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts möglich. "Schließlich handelt es sich um eine unvorhersehbare Naturkatastrophe. Dafür lässt das Urteil Spielräume", so Schwarz.

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dennis Rohde, sagte dem Magazin "Stern": "Noch ist das gesamte Ausmaß der Flutschäden nicht absehbar, aber für genau solche Fälle haben wir die Möglichkeit, die Schuldenbremse auszusetzen, im Grundgesetz stehen." Daran habe auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert. "Ob wir diese finanzielle Dimension erreichen, werden wir jetzt genau prüfen."

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält hingegen nichts von den Forderungen. "Dazu die Schuldenbremse zu lockern, da sehe ich aktuell überhaupt keinen Anlass", sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbands, Uwe Brandl. Er rate bei dem Thema zu mehr Gelassenheit und Zurückhaltung. "Wir werden alle fünf Minuten irgendeine andere schwierige Situation vorfinden, die einen Rechtfertigungstatbestand dafür liefern könnte, die Schuldenbremse zu lockern."+

Die Bundesregierung selbst hat aktuell keine Pläne, die Schuldenbremse für dieses Jahr auszusetzen. Sie behalte sich einen solchen Schritt aber abhängig von der weiteren Entwicklung vor, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Im Video: Gemeindebund-Präsident Brandl zum Hochwasser

Uwe Brandl
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Uwe Brandl

Umweltexperte: "Hochwasser-Ereignisse in Zukunft sicher öfter"

Umweltexperten fordern dagegen als Konsequenz aus dem Hochwasser ein grundsätzliches Umdenken beim Schutz vor Überschwemmungen. "Im Zuge des Klimawandels, wo sich die Hochwasser-Prozesse ändern werden, werden wir sicher andere Arten von Hochwassern in Zukunft sehen", sagte Ralf Merz, Hydrologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle (Saale), am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk. "Solche langen Hochwasser-Ereignisse wird es auch in Zukunft sicher öfter geben."

Viele Schäden könnten vermieden werden, sagte der Hydrologe. Merz zufolge sollte darüber nachgedacht werden, ob der aktuelle Hochwasserschutz so noch funktioniere. "Denn vielleicht ist jetzt das, was wir aus der Vergangenheit gelernt haben, nicht immer eine gute Maßnahme für die Zukunft."

Der Experte verwies zum Beispiel darauf, dass es nun viel weniger Flussauen gebe – also natürliche Überschwemmungsgebiete. Zugleich gab der Experte zu bedenken: "Einen hundertprozentigen Hochwasserschutz werden wir natürlich nie haben. Das ist finanziell und technisch nicht machbar und von der Landschaft nicht umrüstbar."

THW rechnet mit häufigeren Extremwetterereignissen

Auch beim Technischen Hilfswerk (THW) geht man davon aus, dass die Herausforderungen für den Katastrophenschutz generell immer größer werden. Laut seiner Präsidentin Sabine Lackner sei das THW im Bevölkerungsschutz zwar gut aufgestellt und könne in der derzeitigen Hochwasserlage effiziente Hilfe an vielen Orten gleichzeitig leisten. "Dennoch führt uns die aktuelle Lage einmal mehr dramatisch vor Augen, dass die Herausforderungen an das THW immer größer werden, auch durch Extremwettereignisse, deren massive Auswirkungen wir derzeit in verschiedenen Regionen Deutschlands erleben", so Lackner im Interview mit der Rheinischen Post (Externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt).

Mit Informationen von dpa.

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