Report München


133

Voll auf Risiko? Ein CSU-Politiker und die Immobilienwirtschaft

Der Kronacher Landtagsabgeordnete Jürgen Baumgärtner ist im Gespräch für den Posten des Aufsichtsratschefs der neuen staatlichen Wohnungsbaugesellschaft in Bayern. Doch sein Engagement in einem Kommunalunternehmen in Kronach wirft Fragen auf.

Von: Fabian Mader

Stand: 30.04.2024

Neulich im Bayerischen Landtag.  Mit ihm wollen wir sprechen:

Gespräch

Reporter : "Herr Baumgärtner, ich grüße Sie. Wir hatten uns angemeldet."

(Eine Tür knallt.)

Reporter : "Gut"

Versteckt sich der CSU-Landtagsabgeordnete hinter diesem Vorhang? Seit Monaten bitten wir ihn um ein Interview. Warum so abweisend?

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Wenn Sie was gewollt hätten, hätten Sie mich angerufen. Dann hätten wir das geklärt. Aber so, ihre Kommunikation ist…"

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Hören Sie auf zu filmen, hören Sie auf mich zu filmen."

Reporter: "Ich habe Ihnen eine Anfrage geschickt ans Büro. Und die wurde… und ich habe angerufen."

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Nein. Nein. Nein. Hören Sie auf mich zu filmen."

Kameramann: "Ich bin hier im Landtag, hier darf ich filmen."

Jürgen Baumgärtner, CSU, Landtagsabgeordneter: "Nein, mich filmen Sie nicht."

Reporter: "Wir haben aber eine Dreherlaubnis für den Landtag."

Kameramann: "Ich filme meinen Kollegen."

Warum weicht Jürgen Baumgärtner seit Monaten unseren Interviewanfragen aus?

Der Vorsitzende des Bauausschusses im Landtag ist im Gespräch, Aufsichtsratschef der neuen staatlichen Wohnungsbaugesellschaft in Bayern werden. Mit vielen tausend Wohnungen. Der geeignete Mann?

Millionenschwere Immobiliengeschäfte

Oktober 2023 - unterwegs nach Kronach im Norden Bayerns, in Baumgärtners Wahlkreis. Damals ist er Strategievorstand des Lucas-Cranach-Campus, kurz LCC. Ein Kommunalunternehmen, das zunächst Studierende nach Kronach holen will, ein durchaus erfolgreiches Vorzeigeprojekt.

Aber unter Baumgärtners Führung macht der LCC mit Unterstützung des Landkreises millionenschwere Immobiliengeschäfte. Kauft etwa dieses Anwesen - und 644 Wohnungen. Macht viele Millionen Euro Schulden. Ein Erfolgsprojekt?

Unsere Recherche schlägt hohe Wellen. Jürgen Baumgärtner ruft an. Er will wissen, was wir recherchieren. Und mit wem wir sprechen. Wir schauen uns den aktuellen Jahresabschluss des LCC von 2022 an. Und werten ihn gemeinsam mit unserem Recherchepartner der Augsburger Allgemeinen aus.

Das Unternehmen hat 2022: Verbindlichkeiten von mehr als 78 Mio. Euro.
Schreibt rote Zahlen. Der Landkreis schießt 2,2 Millionen Euro Steuergeld zu.
Die Eigenkapitalquote: 0,75% Prozent.

Weder der LCC noch Jürgen Baumgärtner antwortet in einem Interview oder schriftlich auf unsere Fragen. Das Landratsamt Kronach teilt uns immerhin mit, Ziel sei, die Eigenkapitalquote in den nächsten Jahren sukzessive zu erhöhen. In München treffen wir den FDP-Politiker Daniel Föst - einen der erfahrensten Baupolitiker in Deutschland:

"Aber müsste da nicht irgendwann mal die Aufsicht einschreiten? Irgendwas zu finanzieren mit einer Eigenkapitalquote von 0,75% - jedes Unternehmen am Markt wäre damit nahezu pleite. Die würden von der Bank kein Geld mehr kriegen. Ein derart hochrisikoreiches Geschäft einzugehen ist Glücksrittertum. So ein Geschäft macht man eigentlich nicht."

Daniel Föst, FDP, Wohnungsbaupolitischer Sprecher Bundestagsfraktion

"Wir reden von 78 Millionen Verbindlichkeiten und der Landkreis hat einen Gesamthaushalt von etwa 100 Millionen Euro."

Reporter

"Hoffentlich wissen die Damen und Herren in Kronach, was sie tun."

Daniel Föst, FDP, Wohnungsbaupolitischer Sprecher Bundestagsfraktion

In Düsseldorf treffen wir Professor Sven-Joachim Otto. Seit Jahren berät er Kommunalunternehmen. 0,75% Eigenkapital. Reicht das?

"Ich habe schon viele Wohnungsbauunternehmen kommunaler Art beraten. Da sind Eigenkapitalquoten von 20 Prozent und mehr üblich. Bei gut und robust dastehenden kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sehe ich auch 50 Prozent und mehr Eigenkapitalquote. Aber eine sozusagen mikroskopisch kleine Eigenkapitalquote, verbunden mit rund 80 Millionen Euro Schulden, das ist sicher nicht akzeptabel."

 Prof. Sven-Joachim Otto, Berater für Kommunalunternehmen

Weitere Zahlen fallen ins Auge. Trotz der roten Zahlen gab der LCC laut Jahresabschluss 2022 hunderttausende Euro für Berater aus. Spendete 410.000 Euro an eine gleichnamige Stiftung und leaste Fahrzeuge.

Acht KFZ-Kennzeichen können wir zuordnen. Mindestens acht Fahrzeuge bei 10 Vollzeit- und 11 Teilzeitkräften! Nicht nur Nutzfahrzeuge, sondern auch diese Autos: Den BMW nutzt ein naher Verwandter von Baumgärtner, auch er arbeitet beim LCC.

Auffallend: Mehrere aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter des LCC sind CSU-Parteifreunde. Auch dazu von Jürgen Baumgärtner: kein Interview! Keine offizielle Stellungnahme.

Dichtes Netz von Unterstützern

Der CSU-Mann hat ein dichtes Netz von Unterstützern vor Ort aufgebaut. Auch in anderen Parteien. Wir sprechen mit zahlreichen Kommunalpolitikern demokratischer Parteien, die den LCC kritisch sehen. Ein Interview vor der Kamera lehnen sie alle ab. Warum? Wir bekommen Antworten wie diese:
"Er ist der König im Landkreis. Viele haben einfach Angst, ihn zu kritisieren."
"Wenn ihm etwas nicht passt, ist er rücksichtslos (…) Ich trau mich einfach nicht, mich da offen zu äußern."

Kann das sein? Der Landtagsabgeordnete Tim Pargent schickte nichts weiter als einige Fragen zum LCC an die bayerische Staatsregierung.

"Kurz nachdem ich meine Anfrage an die Staatsregierung gestellt habe, hat mich Herr Jürgen Baumgärtner hier in München zwischen Tür und Angel überrumpelt. Und versucht zur Rede zu stellen. Von wem ich die Informationen hätte, warum ich hier überhaupt Fragen stelle und was mich das eigentlich anginge. Ich persönlich fand es bemerkenswert und ungewöhnlich, denn einerseits ist mir sowas in meiner fünfjährigen Zeit hier im Bayerischen Landtag noch nicht passiert, so ein forsches Auftreten und andererseits ist es ein normaler Vorgang, dass die Opposition und die Abgeordneten Fragen an die Regierung stellen."

Tim Pargent, Bündnis90/Die Grünen, Finanzpolitischer Sprecher Landtagsfraktion

Als wir Fragen versenden, schickt uns die Junge Union aus Baumgärtners Wahlkreis eine E-Mail. Darin heißt es, dass "nun manche Journalisten des BRs selbst mit Hetzern, Internettrollen und AfD-Sympathisanten paktieren."

Wir zeigen das Schreiben dem Vorsitzenden des Bayerischen Journalistenverbands.

"Hier haben wir's nicht mit einer Berichterstattung zu tun, der man irgendwie Fehler unterstellen kann. Sondern das ist eine Recherche, also es versucht jemand eine Berichterstattung zu verhindern oder zumindest zu behindern. Und das ist ein Punkt, wo man schon dann sagen muss, die Freiheit der Berichterstattung hat hier Vorrang."

Harald Stocker, Vorsitzender Bayerischer Journalistenverband

Wir recherchieren natürlich weiter und stoßen auf diese Immobilie: Als offenbar die Renovierung zu teuer wird, verkauft sie der LCC weiter. Im Jahresabschluss 2022 taucht das Anwesen mit 435.000 Euro auf. Ein Bekannter Baumgärtners kauft es für 280.000 Euro. Ein SPD-Kommunalpolitiker.

Unser Fazit: Hunderttausende Euro an Spenden, Beratungskosten, gewagte Immobiliengeschäfte und rote Zahlen. In einer Email weist Jürgen Baumgärtner, alle Vorwürfe pauschal mit Nachdruck zurück. Aber unsere konkreten Fragen beantwortet er weder schriftlich noch vor der Kamera, trotz mehrerer Angebote. Seinen Vorstandsposten beim LCC gibt er Ende 2023 auf.

Manuskript des report-Films zum Druck

Manuskript als PDF:


133

Kommentieren

N.N., Dienstag, 14.Mai 2024, 14:36 Uhr

19. Tadellose Aufklärungsarbeit

Ein Servus in die Runde,

alleine schon die unzähligen Kommentare bekräftigen wieder einmal das altbekannte Sprichwort - "getroffene Hunde bellen".
Ich zolle Ihnen vom BR und von der AA meinen vollen Respekt, dass Sie sich trotz [...] Einschüchterungsversuchen von etlichen Seiten weiterhin der Recherche zuwenden [...]

Ich wünsche dem ganzen Team weiterhin Durchhaltevermögen und Unterstützung - weitermachen! Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
Kommentar-Richtlinien bearbeitet.

Antworten

BT, Montag, 13.Mai 2024, 18:18 Uhr

18. Spenden an gleichnamige Stiftung

Die Lucas-Cranach-Campus Stiftung hat gemäß Satzung als definierten Zweck die Förderung von Wissenschaft, angewandter Forschung, Bildung
einschließlich der Schüler- Studierendenhilfe und Kultur insbesondere in der Region Kronach. Der Stiftungszweck wird insbesondere verwirklicht durch:
-Maßnahmen zur Zusammenführung und Vernetzung von akademischer, beruflicher und
schulischer Bildung; Stärkung und Vernetzung des studentischen Lebens; Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Hochschulen und Institutionen im In- und
Ausland, die gleiche Zwecke verfolgen; Vergabe von Stipendien zum Zweck der Aus- und Weiterbildung für Schüler und
Studierende (https://lucas-cranach-campus.de/media/stiftung/TOP6_LCC_Stiftung_Satzung_inkl.AEnderungen_auf_Briefpapier.pdf)

Für die Erfüllung dieser Aufgaben erhält die Stiftung als Weiterleitung vom Kommunalunternehmen ein Verbrauchsvermögen. Darüber existiert meines Wissens auch ein Beschluss des KU-Verwaltungsrates.

Antworten

Sven Schuster, Mittwoch, 08.Mai 2024, 11:56 Uhr

17. Fahrzeuge des LCC

Meines Wissens nach hat der LCC Fahrzeuge für die Hausmeister. Wer das beanstandet ist weltfremd. Alle anderen Fahrzeuge werden von den Mitarbeitern im Rahmen der 1-Prozent-Regelung finanziert. Das heißt, dass die Mitarbeiter für die Nutzung der Autos zahlen. Haben Sie das wirklich gewusst und in diesen Kontext gebracht?

  • Antwort von Die Redaktion, Mittwoch, 08.Mai, 14:16 Uhr

    Wir haben in unserem Beitrag nicht "Fahrzeuge für Hausmeister" beanstandet. Wir stellen dagegen fest, dass laut Jahresabschluss 2022 mindestens 8 Fahrzeugen 10 Vollzeit und 11 Teilzeitkräfte gegenüber stehen. Wir stellen zudem fest, dass es sich hierbei nicht nur um Nutzfahrzeuge handelt. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
    Kommentar-Richtlinien bearbeitet.

Antworten

Sven Schuster, Mittwoch, 08.Mai 2024, 11:54 Uhr

16. Hohe Beratungskosten??

Sie kritisieren in Ihrem Beitrag die hohen Beratungskosten, obwohl Sie wissen, dass die Beratungskosten für die Rekommunalisierung aufgewendet worden sind. Dass dies eine der Basisforderungen der Kreditgeber war, die beispielsweise auch Wertgutachten beinhaltete, unterschlagen Sie in Gänze. Ich frage mich als interessierter Bürger: „Warum haben Sie das gemacht?“.

Antworten

Reinhold Heinlein, Mittwoch, 08.Mai 2024, 11:42 Uhr

15. Effekthascherei und Denunzierung als oberstes Ziel des BR?

Dass die Redaktion die Kommentare, die sich sachkundig pro LCC aussprechen, kritisch beleuchtet oder darauf nur ausweichend antwortet, lässt nochmals die einseitige Berichterstattung erkennen. Für das unter 7. erwähnte Grundstück bei Ruppen hatte sich der LCC bereits seit Jahren interessiert und konnte es vor einigen Monaten erwerben. Dass der LCC dieses jetzt dem Landkreis für die Flüchtlingsunterbringung (insb. Familien) zur Verfügung stellen musste, um so zu verhindern, dass wir die Sporthalle des Schulzentrums wieder sperren mussten, bleibt unerwähnt. Kein Wort davon, dass die Bevölkerung in vielen Teilen der Migrationspolitik sehr kritisch gegenübersteht oder dass ein Teil der BR-Informanten dem Rechercheteam bekannt ist. Auch das ist ein klares Indiz dafür, um was es in dem Beitrag wirklich ging. Es ist deutlich erkennbar, dass durch den BR-Bericht bei den Menschen in Ruppen das Gefühl vermittelt wurde, dass mit dem Bericht eine Flüchtlingsunterkunft verhindert werden könnte.

  • Antwort von Die Redaktion, Mittwoch, 08.Mai, 11:46 Uhr

    Wie Sie dem Filmbeitrag oben entnehmen können, haben wir die Unterbringung von Flüchtlingen in Kronach, die Sie ansprechen, nicht thematisiert.

  • Antwort von LM, Mittwoch, 08.Mai, 14:30 Uhr

    Ich weiß nicht, ob Hr. Heinlein die Sendung gewissenhaft geschaut hat. Von dem Grundstück in Ruppen wurde nämlich nichts gesendet.
    Vor Jahren hatte sich REWE interessiert und nicht der LCC!
    Und dass der LCC jetzt plötzlich das Grundstück zur Verfügung stellen muss, widerspricht der Mail die ich von der Bayer. Staatsregierung erhalten haben:
    "Die mögliche Unterbringung von Asylbewerbern in Wohncontaineranlagen wurde laut Landratsamt bereits im letzten Herbst bei einer öffentlichen Kreistagssitzung diskutiert. Über die geplante Asylunterkunft im Ortsteil Ruppen hat das Landratsamt die Öffentlichkeit mit Bauantragsstellung informiert." (Was natürlich nicht gestimmt hat!!!!!!) Das Grundstück wurde 2023 gekauft!
    Über die Menschen in Ruppen und Ihre Gefühle müssen Sie sich, Herr Heinlein, keine Gedanken machen.
    Man kann dieses Gejammere schon nicht mehr hören. Und wo steckt eigentlich der Verwaltungsratsvorsitzende??? Will der sich auch mal äußern?

Antworten